Megastar Chiranjevi ist Indiens neuer Tourisminister – Wird er den Bürokraten Beine machen?

Man stelle sich vor:  Armin-Müller Stahl wird Tourismusminister der Bundesrepublik Deutschland. Undenkbar, zumal wir keinen deutschen Tourismusminister haben. Das Portfolio wird hierzulande von Herrn Rösler abgedeckt, dessen schauspielerische Qualitäten wohl eher begrenzt sind. In Indien ist das ganz anders: da ist seit dem 28. Oktober ein wahrer Superstar des indischen Kinos oberstrer Touristiker  des Landes: Konidala Siva Sankara Vara Prasad – unter diesem Namen kennt ihn allerdings auch in Indien kaum jemand.  Sein Künstlername Chiranjeevi dagegen ist in aller Munde. Der 57-jährige hat im Laufe seiner Karriere in fast 150 Filmen mitgespielt, meist in tragenden Rollen. Fast alle wurden Kassenknüller – Chiranjeevi ist deshalb ohne Zweifel  der absolute Megaheld von Tollywood, wie die in Hyderabad beheimatete Filmindustrie firmiert. Während früher eher die  künstlerisch anspruchsvollen Filmproduktionen aus Calcutta  als Tollywood-Werke bezeichnet wurden, kommt heute unter dem Namen Tollywood meist leichte Kost aus der Hauptstadt von Andra Pradesh.

Nun also wurde Chiranjeevi als Nachfolger des recht langweiligen Subodh Kant Sahay an die Spitze des indischen Tourismus-Ministeriums berufen.  Tatsächlich kann dieses Amt Glanz gebrauchen, denn seit langem gab es auf diesem Posten keinen erinnerungswürdigen  Minister mehr. Der einzige vorzeigbare Tourismus-Minister, den Indien bis dato hatte, war 1992 bis 1995 Madhavrao Scindia, der Maharaja von Gwalior. Ich hatte das Glück diese charismatische Persönlichkeit kennenzulernen, als COMTOUR 1993 das Besuchsprogramm für die Deutschland-Reisen des Ministers organisieren durfte. Höhepunkte waren seinerzeit ein Pressegespräch auf Schloss Vollrads im Rheingau und ein von uns lancierter Auftritt bei einer Thomas-Gottschalk-Show. Madhavrao Scindia, dem sogar beste Aussichten auf den Posten des Premierministers eingeräumt wurden, kam 2001 leider bei einem Flugzeugunglück ums Leben.

Seither hat eine Reihe von rasch wechselnden farblosen Figuren das indische Tourismusministerium geführt. Jetzt also soll es Chiranjeevi richten. Und bereits bei seinem ersten öffentlichen Auftritt gab er die Parole aus, die vielfältigen Attraktionen Indien in den Mittelpunkt zu stellen. Dass er sein neues Amt nicht unter dem bürgerlichen Namen sondern unter dem Künstlernamen führt, lässt erwarten, dass er sein Image und seinen Ruf in die Waagschale wirft, um für Indien zur werben. Hoffentlich erlahmt sein Elan im Dschungel der berüchtigten indischen Bürokratie nicht. Gerade in den letzten Monaten verhinderten Bremser im indischen Tourismusministerium jede Weiterentwicklung. Weil der Tourismus von der indischen Politik bisher meist stiefmütterlich behandelt wurde, war der Posten des Ministers entsprechend wenig prestigeträchtig. Wenn jetzt ein Mann diesem Amt vorsteht, den in Indien mehr Menschen kennen als selbst den Ministerpräsidenten, wird sich das wohl bald ändern.

Ein erfolgreicher  Filmstar muss noch lange kein guter Tourismusminister sein. Aber weil in Indien Leinwand-Helden geradezu als Götter verehrt werden, ist zu hoffen, dass Chiranjeevi  endlich den Bürokraten in Delhi Beine macht. Er stammt nämlich aus einer Region, die großes touristisches Potential hat, die aber bis dato kaum erschlossen ist. So hat der Neue bereits angekündigt, er wolle die Attraktionen seiner Heimat auf dem internationalen Mark ins rechte Licht rücken. Tatsächlich hat Indien mehr zu bieten als Taj Mahal und Goa. Vor allem im bisher wenig bekannte Andra Pradesh gibt es noch viel zu entdecken.

Dass Fimstars in der Politik erfolgreich sein können, wissen wir nicht nur von Ronald Regan und Arnold Schwarzenegger. In Indien gibt es etliche Beispiele von Filmgöttern, die als Regierungschefs Karriere machten. MG Ramachandran, seit 1935 Superstar des tamilischen Kinos und Hauptdarsteller des ersten südindischen Farbfilms, wurde 1977 Ministerpräsident von Tamil Nadu und bis zu seinem Tod 1994 wie ein Gott verehrt. Als Nachfolgerin wurde ebenfalls eine Schauspielerin inthronisiert, die angeblich mit MGR, wie Ramachandran genannt wurde, liiert war: Jayalitha war von 1991 bis 1996 Ministerpräsidentin, wurde dann abgewählt und wegen Korruption vor Gericht gestellt. 2001 wurde sie dennoch wieder gewählt und regiert bis heute in Tamil Nadu. Entsprechend „verunzieren“ seither überall im Lande überlebensgroße Fotos der Politikerin selbst das letzte Dorf.

Auch im benachbarten Andra Pradesh führte jahrelang ein Ex-Filmstar die Staatsgeschäfte. N.T.  Rama Rao hatte in Filmen mildtätige Götter und Rächer der Armen (im Stil von Robin Hood) gegeben, ehe er mit diesem Image für das höchste Staatsamt kandidierte und den Bundesstaat mit Unterbrechungen zwölf Jahre regierte.

Der Grand Seigneur und langjährige Superstar des Bollywood-Kino, Amitabh Bachchan, versuchte sich ebenfalls schon einmal bereits in der Politik. Auf Wunsch seines Freunde Rajiv Gandhi kandidierte er 1984 für das indische Parlament und fuhr einen der höchsten Siege ein,  den ein indischer Bewerber um einen solchen Sitz je errungen hat. Nach nur drei Jahren verlor er allerdings die Lust an der Politik, weil er in Skandale verwickelt wurde – schuldlos, wie sich erst Jahre später erwies.

Ich bin gespannt, wie lange Chiranjeevi es in seinem neuen Amt aushalten wird. Die Mühlen der indischen Bürokratie mahlen so langsam und beharrlich, dass selbst ein erfolgsverwöhnter Star viel Enthusiasmus mitbringen muss, um nicht die Geduld zu verlieren.

 

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