Lonely Planet empfiehlt Hyderabad – aber die Altstadt ist in einem bedauerlichen Zustand

Die „Bibel“ der Rucksackreisenden ist längst im Establishment der  Reiseliteratur angekommen. Der „Lonely Planet“, in den später 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts als alternativer Reiseführer für junge Entdecker gestartet und seither kontinuierlich weiterentwickelt, ist heute eine weltweit anerkannte Institution und inzwischen im Besitz des britischen Medienriesen BBC. Nach wie vor brüstet sich die Reihe, die fast die ganze Welt abdeckt, mit dem Nimbus des Entdeckers. So werden alljährlich Städte und Regionen als Trendziele ausgerufen, die besucht haben muss, wer mitreden will.

Gerade hat Lonely Planet wieder seine Liste der Topstädte veröffentlich. Und hier, oh Wunder, taucht hinter den erstplatzierten San Francisco und Amsterdam tatsächlich auf Platz drei eine indische Metropole auf: Hyderabad, die Hauptstadt des südindischen Bundesstaates Andra Pradesh. So sehr ich mich als Indienfan über eine solche Ehrung freue, so sehr frage ich mich, warum sie etwa vor Londonderry und Peking auf den Plätzen vier und fünf rangiert, ja warum sie sogar überhaupt auf der Liste der zehn angeblich Besten zehn geführt wird.

Lonely Planet bescheinigt der Stadt Eleganz und Stil. Ehrlich gesagt, auf diese Idee wäre ich nun nicht so schnell gekommen. In den vergangenen 30 Jahrzehnten habe ich Hyderabad insgesamt siebenmal besucht. Zum ersten Mal vor 30 Jahren. Damals lobte ich in meinem Tagebuch die Stadt als einigermaßen sauber und gut organisiert.

Bei späteren Besuchen stellte ich einen zunehmenden Verfall fest. Ich will nicht behaupten, dass Hyderabad nicht sehenswert sei. Im Gegenteil: Noch heute spürt man, dass die Stadt einmal Sitz des reichsten Potentaten der Welt, des Nizams von Hyderabad, war. Seine Vorfahren hatten sich einst als Generäle und Statthalter der Mogul-Kaiser aufgeschwungen und eigenes Königreich gegründet, das im 18. und 19. Jahrhundert den gesamten Süden Indiens kontrollierte. 80% der Stadt waren damals muslimisch und bis heute hat Hyderabad mit 40% den höchsten muslimischen Bevölkerungsanteil aller indischen Großstädte.

Wie gesagt, der sagenhafte Reichtum der Nizam-Herrscher lässt sich in weiten Teilen von Hyderabad noch erahnen. Vor allem in der Altstadt rund um das Char-Minar, dessen vier Minarette das Zentrum markieren. Allerdings sind viele der einst imposanten Paläste heute in einem mehr als bedauerlichen Zustand, dienen als Lagerhallen, Fabrikationsstätten und Handwerksbetriebe. Viele stehen ganz leer, sind allenfalls Heimstatt für Ratten sowie den Holzwurm und seine Kohorten.

Als ich mich bei meinem letzten Besuch, im Sommer 2011, neugierig einer solchen Bruchbude näherte, lockte mich ein uraltes Männchen ins Haus, um mir sein „Schloss“ zu zeigen. Früher habe seine ganze Familie hier gelebt, insgesamt über 100 Personen hätten in den rund 40 Zimmern Platz gehabt. Er führte mich die morschen Stufen einer Freitreppe hinauf und zeigte mir sein Schlafzimmer. In der Ecke des einstigen Ballsaals hing eine schmuddelige Matratze auf den ausgeleierten Federn eines rostigen Bettgestells eingerahmt von längst blind gewordenen Spiegeln. Ich könne das Haus kaufen, sagte der Alte, er sei sowieso der letzte Bewohner. Ich könne ihm schon mal eine Anzahlung von sagen wir mal  tausend Rupien (umgerechnet rund 15 Euro) geben. Du gute Mann konnte gar nicht verstehen, dass ich das großzügige Angebot ablehnte. Als mir ein Nachbarsjunge beim Verlassen des Hauses steckte, der Mann sei gar nicht der Besitzer des verrotteten Palasts, sondern früher Stallbursche der Herrschaft gewesen, wunderte mich das nicht besonders.

Wo sind aber die früheren Besitzer geblieben? Viele haben sich ins Ausland abgesetzt, auch die Nachkommen der früheren Herrscher. Die leben heute auf großem Fuß in Istanbul. Ihre einst prächtigen Bauten verfallen. Es sei denn, es finden sich Investoren, die den alten Glanz wieder aufscheinen lassen wollen.

So wie Indiens noble Hotelgruppe Taj. Die hat einen der schönsten Paläste der Stadt, den Faluknuma Palast langfristig gepachtet und in 15-jähriger Bauzeit stilsicher und sorgfältig restauriert. Der Taj Faluknuma Palast ist heute eines der nobelsten Hotels Indiens wenn nicht sogar der Welt.

Man ahnt, was aus der Stadt werden könnte, wenn weitere Bauten ähnlich behutsam gerettet werden könnte. Als ich den Vorschlag machte, für Hyderbad den Status eines UNESCO Kulturerbes zu beantragen, um so die Mittel für die Rettung der Altstadt aufzutreiben, erntete ich nach anfänglicher Zustimmung schnell vehemente Ablehnung. Denkmalschutzauflagen seien ein Hemmschuh für die Entwicklung einer modernen Stadt.

Dabei ist die moderne Schwesterstadt Secunderabad schon lange bevorzugter Standort moderner Betriebe und vor den Toren der Stadt entsteht mit Cyberabad derzeit eine IT-Stadt, die Bangalore den Rang als Silicon Valley Indiens ablaufen möchte. Und knapp 40 Kilometer außerhalb von Hyderabad ist in den letzten Jahren mit der Ramoji Filmcity in den letzten Jahren die wohl aufwändigste und modernste Produktionsstääte für Filme gewachsen, weshalb viele große indische Produktionen  nicht in Bollywood (= Bombay) sondern hier gedreht werden. Touristen könnten die Produktionsstätten besichtigen, Studiotouren manchen und sogar in unmittelbarer Nähe der Studios in einem Luxushotel übernachten.

Der neue Flughafen von Hyderabad ist wohl der modernste des Landes und mit dem  HITEX Messegelände gibt es in Hyderabad einen Ausstellungsplatz von internationalen Format.  Dass es umso sinnvoller wäre,  den Tourismus anzukurbeln würde, lässt sich am Beispiel des Golconda Forts (12 km außerhalb der Stadt) nachweisen. Bei meinen früheren Besuchen waren die Ruinen der Festung kaum erschlossen und  zum großen Teil von dichtem Buschwerk überwuchert. Entsprechend wenige Besucher machten sich die Mühe, den steilen Weg hinauf zu erklimmen. Als ich im Sommer 2011 wieder einmal den Auftsieg wagte, fand ich befestigte Weg und Treppen und eine vorbildlich restaurierte Festungsanlage vor. Und trotz des etwas verregneten Tages strömten die Besucher in Scharen.

So konnte man wenigsten etwas von der Pracht und der Macht des Ortes erahnen, in dessen Schatzkammer einmal die wertvollsten Diamanten der Welt verwahrt wurden. Golkonda war einst Zentrum des internationalen Juwelenhandels, wo die Funde aus den Diamantenminen von Kollur gehortet wurden. Seinerzeit gab es in  Indien weltweit die einzigen bekannten Diamanten-Vorkommen. Auch der sagenhafte Kohinoor, der größte Diamant der Welt, der heute die britische Krone schmückt, stammt aus der Gegend von Golkanda.

 

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